Es gibt Schreinerbetriebe, die werden nach Paris gerufen, um dort für eine arabische Prinzessin ein Penthouse auszubauen. Einige fahren nach Moskau und realisieren dort die Träumereien eines Oligarchen. Wieder andere reisen einfach nach Grünwald und helfen einem Investmentbanker, seine Einkommen in Holz zu formen. Alles in Ordnung! Noch einmal spannender war der Ausflug eines Schreinergesellen der Schreinerei Ranftl (Name von der Redaktion geändert) in das nahe gelegene Bezirkskrankenhaus. Wie schon beschrieben, es gibt jede Menge interessante und auch schwierige Einsatzorte für den Schreiner, brisant ist jedoch die Montage einer Fensterbank in der geschlossenen Abteilung
einer Psychiatrie.
Der Chef hatte seinem pflichtbewussten Gesellen zwar gesagt, er müsse im Krankenhaus montieren, den genauen Einsatzort jedoch wohlweislich verschwiegen. Sicher, die „Geschlossene“ in einer Psychiatrie ist nicht automatisch ein Ort, in dem sich gewaltbereite Menschen und gefährlich verwirrte Mitbürger zwangsweise aufhalten. Diese Einrichtung ist Therapie und Schutz zugleich. Dennoch beschleicht uns beim Gedanken, dort arbeiten zu müssen ein gewisses Unbehagen. Der Schreinergeselle wird von einem jungen Mann, wohl ein Azubi oder ein sogenannter “Bufdi”, abgeholt. Er bringt unseren Schreiner zur Pforte der Geschlossenen. Ein seltsam langer Fußmarsch, der an einer Glaskabine mit Mikro-Öffnung endet. Erst beim Lesen des Warnschildes „Eintritt nur in Begleitung des Wachpersonals“ wird dem Schreiner klar, wohin man ihn geschickt hat. Für kurze Zeit kommt er sich mit seiner Fensterbank und der
Werkzeugkiste sehr merkwürdig vor. Irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort. Der Pförtner ist ein „Alter Hase“ im Geschäft und hat diesen Laden sichtlich unter Kontrolle. Nach jedem Satz ergänzt er ein „Alles klar, gar
kein Problem“ und füllt das Zutrittsformular routiniert aus. Noch ein kurzer Kontrollblick in die Werkzeugkiste und schon öffnet sich die schwere Zugangstür. Eine zweite Tür lässt sich erst aufstoßen, nachdem das Motorschloss der
ersten Tür eingerastet ist. Alles sehr bizarr. Der Pförtner versichert dem sichtlich irritierten Handwerker, dass derzeit alle Bewohner in der Turnhalle seien und er ungestört seine Arbeit erledigen könne. Das ist doch mal
eine gute Nachricht, die Nervösität beim Gesellen lässt etwas nach. Er solle sich nach. der Montage einfach wieder dort melden. Zum „Auschecken“.
Es ist still, doch jeder Handgriff beim Einpassen der Fensterbank hallt bemerkenswert laut durch die Räume. Nur selten dreht der Arbeiter seinen Rücken zur Durchgangstür – das macht ihn unsicher. Vier Stunden sind die Bewohner in der Turnhalle. Das müsste reichen. Schon nach knapp zwei Stunden ist alles erledigt. Schnell noch das Werkzeug zusammengepackt und dann: Rückzug.
An der Pforte angekommen, bemüht sich der Schreinergeselle um eine gelassene Haltung. War doch alles gar nicht so schlimm und obendrein eine gute Geschichte für seine Kumpels. Er klingelt wie vereinbart an der Pförtnerschleuse. Merkwürdig viele Sekunden verstreichen, bis das Schiebepaneel den Blick auf den Pförtner frei gibt. Aha, denkt sich der Geselle, ein neuer Pförtner in der Kabine. Es war wohl Schichtwechsel. Dieser neue Pförtner wirft einen gelangweilten Blick durchs Glas. „Grüß Gott, ich bin der Schreiner, der die Fensterbank dort an der Teeküche montiert hat. Könnten Sie mich bitte rauslassen?“
Der Pförtner zieht einen Mundwinkel zu einem leicht zynischen Grinsen nach hinten. „Rauslassen – logisch!! Sonst no wos!!“ Dann richtet er die Augen wieder auf seine Bild-Zeitung. Der Schreiner vermutet zunächst einen Spaß des Pförtners und wiederholt seine Bitte, die Tür doch endlich zu öffnen. „Schreiner, des konn ja jeder song.“ Erwiderte der Pförtner. „Mia ham do herin sogar an Napoleon und an Cesar im Programm. De san grod hinten beim
Turnen.“ Der Handwerker ist fassungslos. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Immer wieder wiederholt er die tatsächlichen Umstände. Doch dem Pförtner ist nicht mehr zu entlocken, als: „Mei liaba Freind, jetzt gehst wieder hintre zum Turnen!“ Erst nach zehn Minuten ist der Pförtner verhandlungsbereit und gibt dem Handwerker ein Handy, damit er seinen „vermeintlichen“ Chef anrufen kann. Erst als der Chef mit dem Pförtner ein paar klärende Worte gewechselt hat, ist die Öffnung der Tür nur noch Formsache.
Der Schreiner schleicht den langen Gang entlang und dreht sich noch drei, vier Male um. Das Ganze erscheint ihm noch immer wie ein sehr bizarrer Albtraum, von dem auch seine Kumpels nichts erfahren sollten. Am Hauptausgang der Klinik lehnt der Bufdi am Taxischild. „Na, Fensterbank erfolgreich montiert?“ „Schnauze – du Blödmann“.